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Nordrhein-Westfalen

Seit dem 01.01.2018 ist der elektronische Rechtsverkehr in der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen flächendeckend eröffnet!

Unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften kann nunmehr rechtswirksam mit allen Gerichten, Staatsanwaltschaften und den Gerichtsvollziehern in Nordrhein-Westfalen elektronisch kommuniziert werden. Klagen, vorbereitende Schriftsätze, Anträge und sonstige Dokumente können Sie mithin nunmehr auch in elektronischer Form einreichen.

Welche rechtlichen Voraussetzungen für die elektronische Kommunikation in Rechtssachen mit der Justiz des Landes NRW gelten und welche Zugangswege Ihnen hierfür zur Verfügung stehen, können Sie den §§ 130a ZPO, 14 FamFG, 46c ArbGG, 65a SGG, 55a VwGO, 52a FGO, 32a StPO, § 110c OWiG sowie § 753 ZPO entnehmen. Die für die Übermittlung und Bearbeitung elektronischer Dokumente geltenden technischen Anforderungen sind in der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung) vom 24.11.2017 näher bestimmt.

Für Nordrhein-Westfalen ist zur Vermeidung von Medienbrüchen die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs untrennbar mit der Einführung der elektronischen Akte verbunden. Die Umsetzung dieses Schrittes wird die größte Veränderung in den Geschäftsabläufen der Justiz seit Beginn der elektronischen Datenverarbeitung in den Gerichten und Behörden mit sich bringen. Die elektronische Akte erfordert die Bereitschaft aller Justizbediensteten, auf „die Papierakte“ zu verzichten. Dies setzt eine überzeugende technische Lösung voraus, so dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die elektronische Akte als besser, schneller und effizienter bevorzugen. Damit dies gelingt, hat Nordrhein-Westfalen bereits im Jahr 2008 eine Arbeitsgruppe mit der Entwicklung einer ergonomisch elektronische Akte bzw. eines ergonomisch elektronischen Arbeitsplatzes (e²A) beauftragt, die sich in der Folgezeit intensiv mit den Anforderungen an eine elektronische Akte aus Anwendersicht befasst hat. Als Ergebnis ist das Produkt e²A entstanden, mit dem im Wesentlichen folgende Funktionen der elektronischen Aktenbearbeitung abgedeckt werden:

a) Steuerung der Arbeitsabläufe (Stichworte: Arbeitsimpulse, „elektr. Aktenbock“)

b) Inhaltliche Arbeit mit Dokumenten/Texten (elektronische Darstellung der Akten)

c) Unterstützung der Anbringung von Anmerkungen, Markierungen, Lesezeichen und Verlinkungen und

d) Werkzeuge zur Strukturierung von Texten zur Verfügung gestellt (z.B. werden durch die Markierung von Textteilen mit verschiedenen Farben auf Wunsch automatisch Relationstabellen generiert).

Für die künftige Arbeit mit elektronischen Akten werden in einem ersten Schritt die bereits bestehenden Fach- und Textverfahren weiterverwendet und an bzw. in die neue Oberfläche der ergonomisch elektronischen Akte (e²A) eingebunden.

Die Praxistauglichkeit der Lösung wird seit Ende Mai 2015 bei dem Landgericht in Bonn in den sog. EHUG-Sachen (Verfahren nach § 335 Abs. 5 HGB; rund 16.000 Verfahren im Jahr) in Form einer durchgängigen elektronischen Bearbeitung praktisch erprobt. Zum 12.12.2016 ist hier erstmalig in Nordrhein-Westfalen die Umstellung auf die führende elektronische Akte erfolgt.

In der ordentlichen Gerichtsbarkeit setzen im Zivilbereich sämtliche Oberlandesgerichte und Landgerichte sowie nahezu alle Amtsgerichte die führende elektronische Akte vollständig ein. Die verbleibenden circa 20 Amtsgerichte sollen im Lauf des Jahres 2022 folgen.

Für den Bereich der Strafsachen ist im Oktober 2019 mit der praktischen Erprobung der elektronischen Akte in Ordnungswidrigkeiten begonnen worden. Die Pilotierung verläuft schrittweise und bezieht dabei möglichst mehrere Amtsgerichte im Bezirk einer Staatsanwaltschaft ein: Inzwischen pilotieren die Staatsanwaltschaft Wuppertal mit dem dortigen Amtsgericht, die Staatsanwaltschaft Aachen mit den Amtsgerichten Düren und Eschweiler, die Staatsanwaltschaft Essen mit den zwei Amtsge-richten Essen und Gelsenkirchen, die Staatsanwaltschaft Bonn mit dem Amtsgericht Euskirchen, die Staatsanwaltschaft Duisburg mit dem Amtsgericht Oberhausen sowie die Staatsanwaltschaft Siegen mit dem Amtsgericht Olpe. Im Februar 2020 wurde die Pilotierung auf die zweite Instanz erweitert, inzwischen pilotieren die Oberlandesgerichte und Generalsstaatsanwaltschaften Düsseldorf und Köln. Ab dem 01.07.2021 wurde schrittweise auf die führende elektronische Akte umgestellt. Ab Mitte September 2022 sollen im Bezirk der Staatsanwaltschaft Arnsberg die Amtsgerichte Arnsberg, Brilon und Meschede die Akten in Bußgeldsachen elektronisch führen.

Im Oktober 2020 wurde die Pilotierung auf amtsgerichtliche Strafsachen ausgeweitet und inzwischen bei den Staatsanwaltschaften Aachen, Essen und Wuppertal sowie den Amtsgerichten Aachen, Eschweiler, Essen, Gelsenkirchen und Wuppertal durchgeführt. Seit 2021 wird die Pilotierung im Instanzenzug in Berufungssachen bei den Landgerichten, beim Landgericht Wuppertal zudem auch hinsichtlich einzelner erstinstanzlicher Strafsachen erprobt. Ab September 2022 soll auch das Landgericht  Aachen zweitinstanzliche Strafsachen pilotieren.

Die Amtsgerichte Bonn, Mönchengladbach und Siegen haben ab November 2019 eine Pilotierung in Insolvenzverfahren begonnen, bisher noch beschränkt auf Verbraucherinsolvenzen. Seit Mitte 2020 ist auf führende elektronische Akte umgestellt worden. Inzwischen setzen 13 Amtsgerichte die führende elektronische Akte in Verbraucherinsolvenzsachen ein. Es ist für die zweite Jahreshälfte 2022 geplant, die führende elektronische Akte und die vollständige elektronische Tabellenführung bei drei weiteren Pilotgerichten in Verbraucherinsolvenzverfahren einzuführen.

In weiteren Fachgebieten der ordentlichen Gerichtsbarkeit wird die elektronische Akte seit August 2020 in Mobiliarvollstreckungssachen (an mittlerweile 19 Amtsgerichten), seit September 2020 in Betreuungssachen (an mittlerweile 26 Amtsgerichten), seit April 2021 in Familiensachen (an mittlerweile elf Amtsgerichten und bei einem Familiensenat des Oberlandesgerichts Köln) und Nachlasssachen (an mittlerweile elf Amtsgerichten) sowie seit 2022 in Immobiliarvollstreckungssachen (an derzeit drei Amtsgerichten) erprobt. Weiterhin ist ab 2022 die Pilotierung der elektronischen Akte in Grundbuchsachen geplant.

In der Arbeitsgerichtsbarkeit begann die Pilotierung im Oktober 2019. Im derzeit statt-findenden Roll-out führen die 24 Arbeitsgerichte Aachen, Arnsberg, Bielefeld, Bocholt, Bochum, Detmold, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Hamm, Herford, Herne, Köln, Krefeld, Mönchengladbach, Münster, Oberhausen, Pader-born, Rheine, Siegburg, Solingen, Wesel und Wuppertal die Akten elektronisch. Im Jahr 2022 sollen des Weiteren die Arbeitsgerichte Bonn, Dortmund, Düsseldorf, Iserlohn, Minden und Siegen folgen. Die Einführung soll 2022 bei den (erstinstanzlichen) Arbeitsgerichten sowie im ersten Halbjahr 2023 auch bei den Landesar-beitsgerichten abgeschlossen sein.

In der Finanzgerichtsbarkeit ist die elektronische Akte seit Ende September 2019 flächendeckend bei allen drei Finanzgerichten eingeführt. Als erste Fachgerichtsbarkeit führt die Finanzgerichtsbarkeit damit ihre Akten vollständig elektronisch. Ebenso arbeiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit das Oberverwaltungsgericht und alle Verwaltungsgerichte seit November 2021 vollständig mit der (führenden) elektronischen Akte.

Für die Entwicklung einer Softwarelösung, die den elektronischen Rechtsverkehr und die elektronische Akte bestmöglich unterstützt, hat sich die Landesjustizverwaltung Nordrhein-Westfalen mit den Ländern Bremen, Hessen, Niedersachsen, Saarland und Sachsen-Anhalt im sogenannten -Verbund („ergonomisch elektronisch“ = e²) zusammengeschlossen. Die notwendigen Module werden arbeitsteilig entwickelt.

Derzeit wird bundesweit ein einheitliches Fachverfahrens entwickelt. Es soll nicht nur in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, sondern auch in den Staatsanwaltschaften und den Fachgerichtsbarkeiten die unterschiedlichen Lösungen ersetzen, die heute in Bund und Ländern genutzt werden.